Dorothee Raiser
Nicht möglich, so schien es zu Anfang. Nicht bei den Kleinen. Klasse 1 & 2. Wie sollte das gehen? Wir wollen sie ja nicht unbedingt vor den Rechner holen. Also Arbeitsblätter zum Üben. Per Post, ganz old school. Oder per Mail. Aber Unterricht? Neue Inhalte gar?
Schule ohne Schule? Wenn man an einer Schule und in einer Klassenstufe unterrichtet, in der das Arbeitsblatt nachrangig, dafür die ganze Atmosphäre, alles Miteinander-Sein auf Lernen, ein Lernen mit allen Sinnen, ausgerichtet ist. Und dies findet, ganz besonders in dieser Klassenstufe, in Beziehung statt. Manches können wir nur als Klasse, manches kann die Einzelne nur im Zusammensein mit den Anderen und mit mir. Es braucht die mitvollziehende Aufmerksamkeit der anderen Kinder, der Lehrerin.
Online unterrichten. Digitales Fernlernen. Vermittelt durch die Eltern, an denen viel Arbeit hängen bleibt. Was will ich erreichen? Was kann ich erwarten? Es ist Neuland für uns alle. Audiospuren schneiden. Große Dateien über eine Cloud freigeben. Fotos mit Text und „Intelligenten Anmerkungen“ koordinieren. Alles ist für alle unterschiedlich. Manche können das Audio erst mal nicht öffnen, wollen lieber schlichte Arbeitsblätter, andere schreiben, wie hingebungsvoll ihr Kind gelauscht hat. Von manchen höre ich nichts, andere schicken mir Videos, in denen ihr Kind ganz ernsthaft Wort für Wort auf dem Übungsblatt liest – zum Dahinschmelzen.
Die Themen für meine Buchstabeneinführungen kommen aus dem Erleben meines konkreten, zusammengeschrumpften Alltags. Die Sinne durch die Umstände vielleicht geschärft: der Blick auf das Dach des Nachbarhauses, das Blöken der Schafe auf der Weide, an der ich vorbei spaziere ...
Mit manchem knüpfe ich an gemeinsame Erlebnisse, Spiele oder Rituale an und merke, wie die bisher gemachten, echten Erfahrungen tragen in dieser Zeit, das Fundament bilden. Ein Foto vom Unterricht unter der großen Eibe im Pausenhof oder ein Audio, um allein daheim unser „Weckerspiel“ durchführen zu können. Ein selbst gemachtes Foto-Bilderbuch über ein mit der Flasche aufgezogenes Lämmchen am Engelberg. So eines haben wir letztes Jahr gemeinsam besucht und beobachtet. Dieses Jahr eben fotografiert und mit Text versehen. Von mir allein. Mit Abstand.
Auf meinem Schreibtisch bunte Stifte, geblümte Washi Tapes, Aufkleber mit Delfinen, ein 50er Band goldene Sticker, Briefmarken, Umschläge. Mit manchen Kindern entspinnt sich ein kleiner Briefwechsel. Zwischen Weiler und Schlichten. 2 km Luftlinie. Was für ein Gefühl. Die Briefe laden ein, zu erzählen. Einfache Begebenheiten des Alltags: So lebe ich gerade. Das esse ich. Was ich gerne spiele ... Ich erzähle von mir. Persönlich. Alltäglichkeiten. Mein Hund. Der Fuchs neben der Straße. Ein Marienkäfer am Weg ...
Trotz physischen Getrenntseins entspinnt sich ein feiner Faden Beziehung. Verbindung. Atmosphäre. Ein warmer Strom. Jenseits aller Medien. Entspinnt sich in den Gedanken, die schweifend immer wieder bei den SchülerInnen verweilen und so Verbindung der anderen Art schaffen. Ich gehe mit den Kindern um, nehme sie mit in den Wald, sehe mit ihren Augen auf meine Welt. Wie sie jetzt gerade ist. Und erfahre von ihrer: den frisch gepflanzten Apfelbäumchen, vom Igel im Garten, bekomme ein Rezept zum Nachkochen und freue mich mit über das neue Trampolin und die Turnringe am Balkon, lese, wer wen vermisst und dass wir uns doch ziemlich alle wieder auf Schule in der Schule freuen ...